Buch: Zur schönen Aussicht
„Zur schönen Aussicht“. Ein Schild. Ein Name. Viele Wirklichkeiten.
Wollen Sie es kaufen? Neben mir kommt ein quietschgrüner Kleinwagen zum Stehen. So einer mit einem riesen 45 km/h-Aufkleber auf der viel zu kleinen Heckscheibe. Ein älteres Paar schaut mich durch das runtergekurbelte Fenster erwartungsfroh an. Nein, ich mache nur Fotos. Ach, schade. Seit 30 Jahren steht das hier schon leer. Unten gibt es sogar ein Schwimmbad. Früher war hier was los. Sprach‘s und der Laubfrosch düst davon. Lässt mich mit meinen Gedanken über das Früher allein auf der Landstraße Frenkhauserhöh in Drolshagen zurück.
Die „Schönen Aussichten“ bringen mich 8.000 Kilometer quer durchs Land, bis hinüber nach Österreich. Von der Ostsee bis Garmisch-Partenkirchen, entlang der Deutschen Märchen-, Spargel- und Alleenstraße. Vorbei an der ersten Autobahnraststätte Deutschlands an der A9 bei Rodaborn. Durch den Thüringer Wald, an den Donaubogen in Bayern, ins Weserbergland bis zum geografischen Mittelpunkt unseres Landes in Mühlhausen, obwohl es da je nach Berechnungsmodell unterschiedliche Ergebnisse gibt. Die schönen Aussichten erweitern meine Ortskenntnisse, füllen Listen für zukünftige Ausflugsziele, und ich erfahre viel über Städtepartnerschaften sowie über Bundesschöne Dörfer mit Bronze-Plakette.
75 „Schöne Aussichten“ habe ich entdeckt, fotografiert und dokumentiert ohne Garantie auf Vollständigkeit. Es sind Pensionen, Gasthäuser, Campingplätze, Restaurants, Hotels, Cafés oder Kleingärten. Geschlossen oder in Betrieb. Davon haben es 64 Örtlichkeiten mit 141 Bildern ins Buch geschafft. Sie zeigen die Brüche der Zeiten und einen Sachstandsbericht: Was war, was ist und was vielleicht wieder sein könnte. Die Orte erzählen von Menschen, ihren Festen, Hoffnungen und Enttäuschungen.
Mich interessiert der Kontrast zwischen verheißungsvollem Namen und tatsächlichem Ort. Neubaugebiete, Hauptstraßen und Umstrukturierungen haben im Laufe der Zeit beides auseinandergebracht. Und auch wenn manche Lokalitäten auf den ersten Blick trist erscheinen mögen, so bergen sie doch immer eine gewisse Magie – ein Stück Geschichte, das darauf wartet, entdeckt zu werden. Vielleicht ist es gerade diese Mischung aus Vergangenem und Gegenwärtigem, die Gasthäuser zu so besonderen Orten macht. Sie bieten nicht nur einen Rückzugsort, sondern auch ein Stück Heimat, das man immer wieder aufs Neue erleben kann. Ich plädiere also: Besucht mehr Gaststätten! Unterstützt die lokalen Wirtshäuser!
Der Band richtet sich an alle, die sich für visuelle Reportagen, Alltagsarchitektur, Lost Places und den Wandel regionaler Kultur interessieren. „Zur schönen Aussicht“ ist ein stilles, eindrückliches Porträt unserer Gegenwart – und ein Archiv des Verschwindens.
Claudia Grabowski
Zur schönen Aussicht
148 Seiten | Hardcover, durchgehend farbige Abbildungen | 16,00 Euro
Carl Schünemann Verlag
ISBN 978-3-7961-1226-3